Mehrere Frauen sitzen an einem Tisch.
© Helena Grebe | Stadt Mülheim an der Ruhr
Der Arbeitskreis „Schutzkonzept gegen sexualisierte Gewalt an Schulen“ unter der Führung von Schulrätin Heike Freitag setzt sich zusammen aus engagierten Schulleitungen und Schulsozialarbeiterinnen von Mülheimer Grund- und Förderschulen sowie den Mitarbeiterinnen der regionalen Schulberatungsstelle und des Bildungsbüros der Stadt Mülheim an der Ruhr.

Schulen müssen sich immer wieder neuen Aufgaben stellen und sich unter anderem mit der Erarbeitung von Konzepten auseinandersetzen. Dabei geht es um Themen wie Digitalisierung, Leistungsbeurteilung oder Demokratieerziehung. Als aber klar wurde, dass Schulen dazu verpflichtet sind, ein Konzept zum Schutz gegen Gewalt und insbesondere gegen sexualisierte Gewalt zu verfassen, war das kein Alltagsgeschäft mehr – mindestens für Heike Freitag, Schulamtsdirektorin für Grundschulen der Stadt Mülheim an der Ruhr. Freitag: „Ich dachte sofort, dass dieses Schutzkonzept ein wichtiger und längst überfälliger Arbeitsauftrag für die Schule ist und dass es uns in Mülheim gelingen muss, dieser besonderen Aufgabe als Gemeinschaft gerecht zu werden.“ Und so berief Heike Freitag den Arbeitskreis „Schutzkonzept gegen sexualisierte Gewalt an Schulen“ ein. Dessen Arbeit ist nach drei Jahren fast beendet und das Ergebnis ist beispiellos weit über die Grenzen der Stadt hinaus. 

Erster Schritt: Arbeitskreis bringt Expertise zusammen

Der Arbeitskreis unter der Führung von Schulrätin Freitag setzt sich zusammen aus engagierten Schulleitungen und Schulsozialarbeiterinnen von Mülheimer Grund- und Förderschulen sowie den Mitarbeiterinnen der regionalen Schulberatungsstelle und des Bildungsbüros der Stadt Mülheim an der Ruhr. 

Bei regelmäßigen Treffen ging es vor allem darum, die Expertise zusammenzubringen und sich gemeinsam auf ein Vorgehen zu einigen. Freitag: „Von Anfang an ging es um zwei Aspekte: Es gibt in einer Kommune Dinge, die für alle gelten – wie etwa Beratungsstellen, an die man sich als betroffener Mensch von sexualisierter Gewalt wenden kann. Warum sollte das jede Schule für sich alleine herausfinden müssen? Und die zweite, eigentlich noch viel bedeutsamere Sache, ist das Signal der gemeinsamen Haltung, die die Mülheimer Schulen haben. Wie einzelne Schutzmaßnahmen in Bezug auf Gewalt vor Ort durchgeführt werden, muss jede Schule selbstverständlich individuell aushandeln. Aber der Arbeitskreis hat ermöglicht, dass alle Mitarbeitenden an Schulen wissen, dass sie nicht alleine sind und sich Rat holen können. Wir stehen hier zusammen und das sollten potentielle Täterinnen und Täter wissen!“ 

Zweiter Schritt: Fortbildung für alle Mitarbeitenden an Schulen

Dafür haben die Akteurinnen des Arbeitskreises Ganztagsfortbildungen für alle Mitarbeitenden an Mülheimer Schulen entwickelt. Bei diesen Veranstaltungen ging es in einem ersten Schritt darum, die theoretischen Grundlagen zu vermitteln – wie etwa, was genau sexualisierte Gewalt ist, wie häufig Kinder und Jugendliche statistisch davon betroffen sind und auf welche Anzeichen man achten sollte. Kirsten Heer, die als Schulsozialarbeiterin und Kinderschutzfachkraft am Arbeitskreis beteiligt ist, hat diesen Teil als Referentin gestaltet: „Unser Ziel war es, alle schulischen Mitarbeitenden in Mülheim auf einen Stand zu bringen. Wenn man ein Schutzkonzept entwickeln soll, muss man wissen, wovor man schützen muss und wie Täterinnen und Täter vorgehen, denn sonst kann das nicht effektiv gelingen. Und wir wollten unbedingt, dass bei allen ankommt, dass es eine Aufgabe ist, der wir uns stellen müssen – eben nicht nur, weil es ein gesetzlicher Auftrag ist, sondern weil wir uns dazu verpflichtet haben, Kinder und Jugendliche auf ihrem Weg ein Stück zu begleiten. Will man dieser Aufgabe verantwortlich gerecht werden, gehört es eben auch dazu, sich mit sexualisierter Gewalt auseinandersetzen und nicht wegzuschauen – auch wenn das alles andere als leichtfällt.“

Im zweiten Teil der ganztägigen Fortbildung erläuterten die Mitarbeiterinnen der regionalen Schulberatungsstelle (RSB), was das Schutzkonzept überhaupt ist: Was gehört da hinein? Aus welchen Bausteinen besteht es? Wie initiiert man den Prozess dazu in einer Schule? Wie beteiligt man Schülerinnen und Schüler sowie deren Eltern? Nachdem alle Kollegien der Grundschulen den Fachtag durchlaufen hatten, ist es gelungen, diese Fortbildungsoffensive auf die weiterführenden Schulen zu übertragen. Dieser Prozess ist mittlerweile abgeschlossen – somit sind alle Mitarbeitenden an Grund-, Förder-, Haupt-, Real-, Gesamtschulen und Gymnasien der Stadt Mülheim sowie der Waldorfschule auf einem Wissensstand.

Zwei Frauen sitzen mit Unterlagen an einem Tisch.
© privat | Stadt Mülheim an der Ruhr
von links: Kirsten Heer, Schulsozialarbeiterin und Kinderschutzfachkraft, und Kathrin Grollmann, Leiterin der Astrid Lindgren-Schule, sind Teil des Arbeitskreises „Schutzkonzept gegen sexualisierte Gewalt an Schulen“.

Nächster Schritt: Schulen entwickeln und leben die individuellen Konzepte

Nun gilt es, das Wissen aus der Ganztagsfortbildung in ein Konzept umzuwandeln – also in einen Handlungsrahmen und Maßnahmenkatalog, wie die jeweilige Schule sich aufstellt, um Kinder vor sexualisierter Gewalt zu schützen. Und es gilt, das Konzept auch zu leben! Dafür gibt es in Mülheim an der Ruhr reichlich Unterstützung: Die Beteiligten des Arbeitskreises haben Materialien entwickelt, die die Schulen für ihr Konzept nutzen können. Dazu gehören zum Beispiel eine Sammlung von Ansprechstellen innerhalb der Kommune und im näheren Umkreis, Formulare für die Dokumentation und Interventionsschemata. Mitarbeiterinnen der regionalen Schulberatungsstelle (RSB) haben außerdem für alle Bausteine des Schutzkonzeptes einzelne Fortbildungsmodule entwickelt. An diesen können alle Beschäftigten von Mülheimer Schulen teilnehmen. Flankierend dazu kann sich jede Schule von der RSB individuell beraten lassen. Dazu Annika Ebert aus der Schulberatung: „Uns ist es wichtig, dass sich jede Schule in Mülheim gut aufgestellt fühlt. Nur wer sicher ist, wie man sexualisierter Gewalt und anderen Gewaltphänomenen begegnen kann, wie man präventiv davor schützt und wie man unterstützt, falls es dazu kommt, ist handlungsfähig. Und damit auch wirklich alle Mitarbeitenden handlungsfähig sind und der Prozess nachhaltig weitergeführt wird, bieten wir unter anderem in Kooperation mit der AWO Fachberatungsstelle künftig solche Fortbildungen auch für ´Newcomer´ an.“ 

Schutz auch vor Mobbing oder digitalen Gefahren

Das Schutzkonzept gegen sexualisierte Gewalt ist eine große Aufgabe für Institutionen – und so auch für Schulen. Dank der umfangreichen Unterstützung ist es gelungen, dass sich Mülheimer Schulen aufstellen können und in dieser Geschlossenheit einen wirksamen Schutz leben. Dieser Schutz umschließt nicht nur sexualisierte Gewalt, sondern auch andere Gewaltphänomene wie zum Beispiel Mobbing oder digitale Gefahren. Denn auf solche Gewaltformen sind die erarbeiteten Strukturen des Schutzkonzeptes gegen sexualisierte Gewalt übertragbar. Dabei geht es darum, dass Kinder und Jugendliche durch präventive Arbeit in den Schulen gut aufgestellt und gestärkt werden, indem sie beispielsweise lernen, Grenzen zu benennen und Nein zu sagen, wenn es darauf ankommt. Außerdem treffen Schüler*innen in ihren Schulen auf Ansprechpersonen, denen sie sich anvertrauen können, falls ihnen Gewalt in jeglicher Form außerhalb oder auch innerhalb der Institution widerfährt. „Sie erfahren, dass sie innerhalb ihrer Schule Gehör finden – und das gilt eben für all ihre Sorgen und Nöte“, so Kirsten Heer, Schulsozialarbeiterin und Kinderschutzfachkraft im Arbeitskreis. „Kinder müssen sich gesehen, gestärkt und geschützt fühlen – nur so kann es gelingen, dass Schule kein Tatort, sondern Schutzort für Kinder ist.“ Und in Mülheim an der Ruhr ist man dank des Arbeitskreises diesem Ziel ein großes Stück näher gekommen!